03.05.2021

Management ist nicht die Lösung, sondern Teil des Problems

Zugegeben – ein reißerischer Titel. Obwohl er bereits die mildere Variante meiner ursprünglichen Idee war: „Management ist tot und sein Mörder heißt Dynamik“. Warum ich diese These nicht für steil, sondern für absolut begründet halte, können Sie im Folgenden lesen.

 

Was ist Management?

Zunächst muss geklärt werden, was Management überhaupt ist. Ich meine damit nicht die handelnden Personen (Manager), sondern die Sozialtechnologie Management. Diese kommt aus dem späten Industriezeitalter Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts. Der „Erfinder“ von Management war Frederick W. Taylor, ein amerikanischer Ingenieur und Begründer der Arbeitswissenschaft.Die Idee Taylors war die organisatorische Trennung von Denken und Handeln (und damit auch die personelle Trennung in Denkende und Handelnde) – gewissermaßen der Stein des Anstoßes der heutigen pyramidalen Organigramme. Etwas vereinfacht ließe sich die Logik beschreiben mit „oben wird gedacht – unten wird gemacht“. Der nicht-denkende Teil der Arbeit ließ sich anschließend in Aufgaben zerlegen (funktionale Trennung) und standardisieren. Die wenigen hochqualifizierten Denkenden kümmerten sich um die Planung und Optimierung der Arbeitsabläufe sowie die Überwachung der Einhaltung von Arbeitsanweisungen (kurzum: sie planten, steuerten und kontrollierten). Die ausführenden Mitarbeiter hingegen führten die Anweisungen lediglich aus.

Zu dieser Zeit entstanden große Massenmärkte (v.a. durch den technologischen Fortschritt und die enorme Reduzierung der Transportkosten) – dafür war das tayloristische Organisationsdesign geradezu prädestiniert. Die Fertigung gleicher Produkte in großen Mengen konnte durch Arbeitsteilung, Standardisierung und kontinuierliche Optimierung deutlich effizienter gestaltet werden und so ist es nicht verwunderlich, dass sich die Produktivität fertigender Betriebe in den folgenden Jahrzehnten verhundertfachte. Unternehmer wie Henry Ford beschritten diesen Weg konsequent und schätzten die Möglichkeit, das "Unternehmen wie eine Maschine zu denken“.

Viele Jahrzehnte avancierte diese Art von Organisationsdesign zur vorherrschenden Sozialtechnologie, die bis heute den Großteil der Unternehmen prägt. Doch langsam und allmählich bilden sich tiefe Risse.

 

Was hat sich geändert?

Die tayloristische Organisationsform ist so lange zielführend und besticht durch ihre ungeheure Effizienz, solange sich wenig verändert. Wenige gleichartige Produkte, geringe Variantenzahl und träge Märkte bedeuten sich ständig wiederholende Aufgaben. Einmal standardisiert in Form von Prozessen und Arbeitsanweisungen, müssen diese Aufgaben dann nur noch ausgeführt und kontrolliert werden. Management als Sozialtechnologie ermöglicht Höchstleistung – aber nur, solange die Dynamik überschaubar bleibt.

Als Dynamik verstehe ich die Anzahl der Überraschungen in einem Markt. Dynamik ist wie das Wetter - unvorhersehbar, nicht steuerbar und weder gut noch schlecht. Es ist nur dann schlecht, wenn man nicht darauf vorbereitet ist. Seit den 1970er-Jahren steigt diese Dynamik unaufhörlich. Neue Marktteilnehmer, steigende Kundenanforderungen, dichterer Wettbewerb, neue Technologien, höhere Vernetzung, kürzere Entwicklungszyklen – die Anzahl der Überraschungen in den Märkten nimmt immer weiter zu.

 

Warum ist steigende Dynamik ein Problem für Management?

Management (Planung, Steuerung und Kontrolle) suggeriert, dass Probleme mit Wissen zu lösen sind und Arbeit standardisiert werden kann. Es gibt also jemanden, der weiß, wie ein bestimmtes Problem zu lösen ist. Diese Art der Problemlösung (das Wissen) wird konserviert, z.B. in Form von Prozessen oder Arbeitsanweisungen, und den Mitarbeitenden zur Verfügung gestellt. Anschließend müssen die Mitarbeiter nur noch ausführen.

Doch was passiert nun, wenn sich die Überraschungen häufen? Zum Beispiel, wenn Wettbewerber immer öfter neue Produkte auf den Markt bringen oder sich Kundenanforderungen ständig verändern. Auf all diese Überraschungen müssen Unternehmen (Manager) reagieren, und zwar immer häufiger. Dadurch verändern sich auch Prozesse, Verfahren und Entscheidungen immer öfter. Neue Marktimpulse treffen auf die Unternehmen, diese müssen intern durch das Management beurteilt, mit anderen Bereichen besprochen, nach oben eskaliert und entschieden werden. Passiert so etwas nur ab und zu, können Unternehmen damit umgehen. Je höher die Anzahl der Überraschungen, desto mehr leidet die Organisation unter sich selbst – ständig neue Prozesse, alte Abläufe passen nicht mehr zu den Anforderungen der Kunden, lange Entscheidungswege, Freigabe-Odysseen und eine steigende Flut an Regeln. Die Folgen sind Übersteuerung, Frust bei den Mitarbeitern, sinkende Wettbewerbsfähigkeit und letztlich der Kollaps. Ich prangere damit keineswegs Manager an; die Ursache des Problems sind nicht die handelnden Menschen, sondern liegt in der Sozialtechnologie Management selbst.

Unter hoher Dynamik ist Management also nicht die Lösung, sondern Teil des Problems.

Wie sieht sie aus – die dynamikrobuste Organisation?

Die im tayloristischen Management angelegte Trennung von Denken und Handeln ermöglicht in trägen Märkten eine enorme Steigerung der Effizienz. In dynamischen Märkten hingegen führt Management infolge von langen Kommunikations- und Entscheidungswegen zu einem Kollaps der Steuerung.

Heute müssen Denken und Handeln wieder zusammengeführt werden, um schnell und marktadäquat reagieren zu können. Dynamikrobuste Organisationen können wir heute nicht mehr als Pyramide denken, sondern als Kreis. Der äußere Teil (die Peripherie) hat Kontakt zum Markt. Die Teams in der Peripherie denken unternehmerisch, setzen sich interdisziplinär zusammen und sind in der Lage, weitestgehend selbstständig Leistungen für ihre Kunden zu erbringen. Die Entscheidungskompetenz liegt dabei ebenfalls in der Peripherie, denn das Zentrum ist zu weit weg vom Markt. Das Zentrum nimmt eine „dienende“ Rolle ein und unterstützt die Peripherie bei der Leistungserbringung.

 

Die Antwort auf steigende Dynamik lautet daher radikale Dezentralisierung von Entscheidungen und Verzicht oder zumindest Reduzierung zentraler Steuerung. Der Hauptunterschied: in tayloristischen Organisationen liegt die Macht beim Management, in dezentralen Organisationen liegt die Macht im Markt und (mittelbar) in der Peripherie.

 

Weiterführende Literatur:

Frederick W. Taylor (1911): The principles of scientific management

Gerhard Wohland (2012): Denkwerkzeuge der Höchstleister

Niels Pfläging (2014): Organisation für Komplexität

Niels Pfläging, Silke Hermann (2020): Zellstrukturdesign